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Tag der Pflegenden

Was würde Florence Nightingale machen?

Für die Kolumne schlüpft Autor Matthias Prehm in die Rolle von Florence Nightingale, einer Pionierin der Krankenpflege, die im 19. Jahrhundert weitreichende Reformen im Gesundheitswesen Großbritanniens durchsetzte.

Liebe Pflegende!

Nun schließt sich also der Kreis. Vor 21 Monaten durfte ich hier die erste Kolumne des Kammermagazins schreiben, viele meiner bedeutenden Kolleginnen (es war tatsächlich kein Mann darunter!) folgten mir und hatten im Grunde zwei Botschaften. Erstens: Die Situation der Pflegenden, Patienten und pflegenden Angehörigen in Deutschland ist bereits ein Notfall. Und zweitens: Es wird Zeit, dass wir Pflegenden – organisiert in Pflegekammern, Verbänden und Gewerkschaften – gemeinsam mit der Politik das Gesundheitssystem vor einem Multiorganversagen bewahren.

Jeder Einzelne von uns kann etwas dafür tun, die Situation ein wenig zu verbessern. Aber einzeln und allein fällt es schwer, daher geht es nur zusammen. Die Möglichkeit der Mitbestimmung, die wir mit den Pflegekammern erhalten, müssen wir für uns nutzen.

Gestatten Sie mir, dass ich etwas philosophisch aushole, um zu erläutern, was ich meine. Wir sollten unser „Selbst-Bewusst-Sein“ wieder aktivieren und uns klar machen, warum wir eigentlich arbeiten. Einige antworten vermutlich mit einem Motivbündel: „Um zu leben, um mir Träume zu erfüllen, um meine Familie zu ernähren.“ Andere wiederum leben, um zu arbeiten. Das sind häufig Workaholics, deren letztes Refugium die Arbeit ist.

Im Grunde tun wir dies alles aber nur „um zu“, also auf ein fernes Ziel hinarbeitend. Dabei versäumen wir den Moment und verlieren unsere zentralen Motive aus den Augen: Liebe oder Angst. Es gibt nur diese beiden Motive. Und bitte nicht mit Anerkennung oder Prothesen des Selbstwertgefühls wie Titeln, Häusern oder Autos verwechseln. Viele Menschen kaufen Dinge, die sie nicht brauchen, von Geld, das sie nicht haben, um Menschen zu beeindrucken, die sie nicht mögen.

Wenn Sie nun nur nach Sicherheit und Bedeutung streben, treibt Ihr Ego Sie an. Angst beherrscht Ihr Gedanken: Angst, das Leben sei nicht sicher und Sie zählten nichts in den Augen anderer. Macht sucht, der Ohnmacht spürt! Oder, wie ein Zitat des französischen Schriftstellers Nicolas Chamfort besagt: „Durch die Leidenschaft lebt der Mensch, durch die Vernunft existiert er bloß.“

Ist die Sinnhaftigkeit unseres Tuns verloren gegangen, brauchen wir Motivation. Den Arbeitgebern sei gesagt: Warum ist Motivation denn überhaupt nötig? Wer Leistung will, muss Sinn bieten. Denn Menschen verlassen nicht das Unternehmen, sie verlassen ihre Vorgesetzten. Bei Greenpeace fragt niemand nach dem Sinn, das große Ziel ist allen bekannt. Und in der Pflege? Alle haben diesen Beruf mit einer bestimmten Motivation begonnen. Unter den gegebenen Umständen fällt es vielen jedoch schwer, die Menschen in Würde mit Zeit und Empathie zu pflegen und zu betreuen. Viele gehen daher täglich zur Arbeit „um zu“. Wenn Sie jedoch nicht aus den beschriebenen Ängsten, sondern aus Liebe zur Arbeit gehen, machen Sie es, weil Sie es wollen und nicht müssen. Und die Antwort auf die Frage: „Warum arbeitest du eigentlich?“, sollte aus dem Antrieb der Liebe, der Selbstverwirklichung kommen, aus einem „Sich-Selbst-Bewusstsein-Sein“.

Solange Sie etwas machen „um zu“, leben Sie am Leben vorbei. Handeln Sie jedoch, weil Sie etwas wollen, erleben Sie die Freude am Tun. Sie gehen in Ihrer Arbeit auf und erleben einen bewussten Stolz darauf. Wenn Sie werden, wer Sie sind, wird Ihnen klar, dass Sie mehr sind, als nur die Dinge, die Ihre Person ausmachen: Vater, Mutter, Pfälzer, Angler. Das alles sind Sie nicht, das ist nur Ihre Person. Persona steht in der Psychologie für die Rolle, die ein Mensch in der Welt um ihn herum einnimmt.

Wenn Sie bei sich selbst angekommen sind, gibt es nur noch eine Antwort auf die Frage, warum Sie etwas machen: Aus Freude am Tun. Die Freude, die Sie erleben, liegt nicht im Ankommen. Sie liegt immer auf dem Weg. Sie sollten auch nicht erst glücklich sein, wenn Sie in Rente gehen. Nein, auf dem Weg dorthin empfinden Sie Leben. Leben rückwärts geschrieben, heißt Nebel, und im Nebel kann man sich leicht verirren. Mit diesem Selbstverständnis für sich, für Ihren schönen Beruf, wünsche ich Ihnen, dass Sie den Durchblick behalten. Auf lange Sicht kann der Patient „Gesundheitssystem“ nur gesunden, wenn Sie sich, Ihre Ideen und Ihre Freude einbringen.

Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute,

Wer war Florence Nightingale (1820-1910)?

Die jüngste Tochter einer wohlhabenden britischen Familie erlernte gegen den Willen ihrer Eltern die praktische Krankenpflege in verschiedenen Krankenhäusern, unter anderem in Paris. 1851 übernahm sie die Leitung eines Pflegeheims in London, wo sie neue Verfahren einführte, die sie während ihrer Ausbildung kennengelernt hatte. Nach Ausbruch des Krimkriegs leitete sie ab 1954 ein Militärkrankenhaus im türkischen Scutari (heute Üsküdar). Wenn sie nachts Patienten auf Station aufsuchte, leuchtete sie sich mit einer Lampe den Weg, was ihr fortan den Spitznamen „Lady with the Lamp“ einbrachte. Anschließend kehrte Florence Nightingale chronisch krank zurück nach Großbritannien, nahm aber durch Veröffentlichungen Einfluss auf das Gesundheitswesen. Heute gilt sie als Pionierin der Krankenpflege, die maßgeblich dazu beitrug, den Pflegeberuf im 19. Jahrhundert zu reformieren. Pflegefachpersonen weltweit feiern an ihrem Geburtstag, dem 12. Mai, den Internationalen Tag der Pflegenden.

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